Sucht man aktuelle Forschung über den strategischen Einfluss von KI in Firmen, dann findet man vor allem solche aus China. Das kommt nicht nur daher, dass chinesische Forscher aktiver publizieren, sondern liegt vor allem auch daran, dass die dortigen Firmen und Konzerne viel schneller nicht nur die Automatisierung in den Fabriken, sondern auch den Einsatz künstlicher Intelligenz in Firmen vorantreiben, als dies hier der Fall wäre. Eine Studie unter gut 500 chinesischen Firmen (Gao et al. 2025) zeigt etwa nicht nur erwartungsgemäß, dass der Einsatz von KI die Innovationsbereitschaft, die dynamischen Fähigkeiten (siehe auch Liu et al. 2024) und die Effizienz der Finanzierung (Li et al. 2024) der Firmen erhöht, sondern dass dies auch durch existierende dynamische Fähigkeiten gefördert, wenn nicht gar erst ermöglicht wird. Wie aber konkret in Zeiten der Künstlichen Intelligenz solche dynamischen Fähigkeiten gestaltet werden, zeigen eher Einzelbeispiele aus den USA, die heute noch Extreme darstellen, aber morgen schon alle Firmen prägen könnten.
Beispielsweise berichtete etwa die NZZ kürzlich von über 5000 Dollar liegenden Wochengehältern, welche Jane Street, ein Market Maker, nicht für etablierte Trader, sondern für Praktikanten anbietet – natürlich nur für Top-Talente aus den bekannten Elite-Universitäten, die ein Doktorat aus Mathematik oder anderen naturwissenschaftlichen Fächern vorweisen können. Und DIE ZEIT nennt Mark Zuckerberg, wie er versucht im KI-Rennen aufzuholen, indem er ebensolche Talente aus anderen Firmen mit Milliarden-Gehältern abzuwerben versucht. Jane Street, als Partnerschaft organisiert, zahlt exorbitante Gehälter, aber für eine relativ kleine Zahl an Mitarbeitern (etwa 3000), mit der es Erträge erwirtschaftet wie wesentlich größere Investmentgesellschaften. Denn diese Top-Entwickler, eigentlich Wissenschaftler, die sich sehr spezialisierten Anwendungen verschrieben haben, entwickeln jene KIs, die ohne wesentliche zusätzliche Belegschaft das Geschäft erledigen – und zwar wesentlich besser als die Menschen je gekonnt haben. Und auch Zuckerberg plant kleine Teams rund um diese zentralen Figuren. Denn die Fuß-Arbeit der Programmierung macht ja jetzt schon die KI.
Viele Kommentatoren, vor allem in der oben zitierten NZZ zu finden, sehen in der KI bloß einen weiteren Hype, der sich nur für wenige Firmen letztlich auszahlen wird. Der Großteil der derzeit exorbitanten Investitionen würden sich nicht rechnen, und die Karawane würde unter zwar veränderten Bedingungen, aber im Wesentlichen unbeirrt weiterziehen. Nennen wir es „das Boom-and-Bust-Szenario“. Am extremen anderen Ende der vorgestellten Entwicklungen liegen jene, die in wenigen Jahren die Maschinen autonom agierend und lernend sehen und letztlich dem Menschen die Kontrolle entziehen würden. Gerade aus der Tech-Szene kommen viele Anhänger dieser Sichtweise, und sie wurde ja auch schon früher filmisch durchexerziert, wie könnte es daher das „Terminator-Szenario“ heißen. Deren Apologeten propagieren aber sehr unterschiedliche Vorgehensweisen, mit diesen Entwicklungen umzugehen.
Realistisch aber ist jene Entwicklung – nennen wir es das „Konzentrations-Szenario“ -, die eben jetzt schon durch Firmen wie Jane Street und Zuckerbergs Meta vorexerziert wird. Wenige Top-Entwickler, bezahlt durch astronomische Gehälter, umgeben von etwas mehr auch sehr gut bezahlten Team-Mitgliedern, gestalten spezialisierte KI-Agenten, welche den ganzen Rest erledigen (die Diskussion um allgemeine generative Intelligenz ist bestenfalls ein Ablenkungsmanöver). Dies betrifft zunächst alle geistigen Tätigkeiten, welche in der Dienstleistungsgesellschaft vor allem für akademisch ausgebildete Leute gute Durchschnittsgehälter garantierten. Damit wird es für die breite Masse vorbei sein. Bleiben die physischen Tätigkeiten. Aber auch die Taxis fahren schon autonom und die Fabriken drehen zunehmend das Licht aus, nicht weil sie schließen würden, sondern weil sie ohne Menschen auskommen. Die einzige Art von Tätigkeit, die dem Menschen noch lange vorbehalten sein wird, ist das alte Handwerk, vom Installateur, der Elektrikerin, dem Putzmann, bis zu allen Reparaturtätigkeiten, die zu unspezifisch sind, um sie einem Roboter erlernen zu lassen.
Im Moment scheinen sich die meisten Entscheidungsträger in den Firmen zwar über die potenziell disruptive Wirkung Künstlicher Intelligenz bewusst zu sein, aber im Wesentlichen vom Boom-and-Bust-Szenario auszugehen, denn ein Einfluss auf strategische Entscheidungen ist praktisch nicht sichtbar. Weil Vorhersagen über konkrete Auswirkungen, vor allem über deren Zeitpunkt, auch kaum möglich sind, ist dies auch sehr verständlich. Die oben zitierten Studien zeigen aber eines eindeutig: Nur wer heute schon an seinen dynamischen Fähigkeiten arbeitet und diese entwickelt, insbesondere an jenen im Umgang mit diesen neuen KI- und Automatisierungs-Technologien, wird bereit sein, wenn sich die Welt dann tatsächlich disruptiv in Richtung Konzentrations-Szenario verändert.
Literatur
Gao Y, Liu S, Yang L (2025) Artificial intelligence and innovation capability: A dynamic capabilities perspective. Int Rev Econ Financ 98:. https://doi.org/10.1016/j.iref.2025.103923
Li Y, Zhong H, Tong Q (2024) Artificial intelligence, dynamic capabilities, and corporate financial asset allocation. Int Rev Financ Anal 96:103773. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.irfa.2024.103773
Liu Y (David), Sun J, Zhang Z (Justin), et al (2024) How AI Impacts Companies’ Dynamic Capabilities. Res Manag 67:64–76. https://doi.org/10.1080/08956308.2024.2324407
Neue Zürcher Zeitung vom 9.9.2025
Die Zeit Nr. 36/2025